Seite: Hells Angels

Sie sind ein Mythos – Vor 70 Jahren begann der Höllenritt des Motorradklubs „Hells Angels“.

Einerseits: Urväter des Rebellischen und Kämpfer gegen die Obrigkeit. Unangepasste Verfechter des Lebensgefühls von Freiheit, Abenteuer und Rock’n’Roll. Stolze Mitglieder einer verschwiegenen Bruderschaft mit ehernen Regeln. Andererseits: Schwerkriminelle auf Rädern, die in Drogen, Hehlerei, Erpressung und Prostitution machen. Gesetzlose, die dabei vor Mord nicht zurückschrecken.

Die Etiketten, die sich der mächtigste Rocker-Klub weltweit erworben hat, könnten gegensätzlicher kaum sein. Vor 70 Jahren, am 17. März 1948, begann im kalifornischen San Bernardino County der schillernde Road-Trip der „Hells Angels“.
Am Anfang war die Flucht vor dem Nachkriegs-Muff

Wie bei vielen Mythen, so gehen auch bei den „Höllenengeln“ die Anfänge auf ein Missverständnis zurück. Die Männer der erste Stunde waren keine coolen Denn-sie-wissen-nicht-was-sie-tun-Typen mit James-Dean-Note. Sondern entwurzelte, deprimierte Patrioten, die nach Ende des Zweiten Weltkriegs, nach Verlassen der Cockpits ihrer Kampfbomber, schnell zu spüren bekamen, dass ihr Vaterland ihnen am Boden nicht den roten Teppich ausrollen würde.

Um Zeit totzuschlagen und der muffigen Atmosphäre der Nachkriegsgesellschaft zu entkommen, schlossen sie sich – wie im Fall des ehemaligen Kampf-Piloten Arvid Olsen – in Motorrad-Klubs zusammen. Das Fahren hatten sie im Krieg gelernt. Olsen übernahm einfach den Namen seines früheren Luftwaffen-Geschwaders: „The Hells Angels“. Das Emblem, der geflügelte Totenkopf, ist das längst markenrechtlich geschützte Erkennungszeichen. Wer es ohne Genehmigung benutzt, kriegt die Ketten der Angels-Anwälte zu schmecken.
Zechen, marodieren, prügeln bis der Arzt kommt

Wozu diese Männer in den Sätteln ihrer röhrenden Harley Davidson-Maschinen fähig waren, zeigte sich zum ersten Mal präzise am 4. Juli 1947 in Hollister. Die American Motorcycle Association hatte am Unabhängigkeitstag zu einem Rennen eingeladen. 4000 Biker fielen in das südlich von San Francisco gelegene Städtchen ein, feierten, zechten, marodierten und prügelten sich, bis der Arzt kam.

Lokalzeitungen knallten die Schlagzeile „Tage des Terrors“ auf die Seite 1. Das Life-Magazin verbreitete das bis dahin unbekannte Phänomen mit eindrucksvollen Bildern im ganzen Land. Am 17. März 1948 formierten sich die „Pissed Off Bastards“ in Fontana zum ersten Hells Angels-Klub. In der Folgezeit schossen Dutzende Biker-Bünde wie Pilze aus dem Boden. Denn Rest besorgte Hollywood.

Promis aus der Show-Branche suchten die Nähe der Rocker

Schon 1954 setzte die Traumfabrik dem Typus Outlaw auf zwei Rädern in „The Wild One“ ein Denkmal. Marlon Brando (als Bandenführer Johnny) wurde von Regisseur Stanley Kramer als Streiter gegen Langeweile und staatliche Gängelung inszeniert. Unerreicht seine Antwort auf die Frage, wogegen er eigentlich rebelliere: „Was haben Sie im Angebot?“

1967 transportierte Jack Nicholson in dem Film „Hells Angels on Wheels“ das Image des Rauhbeins in die Kinosäle. Später suchten Promis aus der Show-Branche wie John Belushi, Sylvester Stallone und Mickey Rourke regelmäßig die Nähe zum Klub. Etwas Besseres, räumte Sonny Barger, der heute 79-jährige und seit 1957 informell an der Spitze stehende Ober-Angel später ein, konnte den echten Rockern „nicht passieren“.
Ein von dumpfen Ritualen geprägter Männer-Bund

Einer, der auch tüchtig mitgeholfen hat, war der Gonzo-Schriftsteller Hunter S. Thompson. In den 60er Jahren lebte er als von Job zu Job tingelnder Journalist in San Francisco, als der so genannte Lynch-Report in Umlauf kam. Zum ersten Mal standen die Outlaws im grellen Licht der Staatsorgane. Durch den Untersuchungsbericht des kalifornischen Generalstaatsanwalt Thomas C. Lynch erfuhr Amerika von Fällen schwerster Gewalt, Brutalität und aggressivem Geltungsdrang. Thompson heftete sich an die Fersen der Angels, gewann das Vertrauen und fuhr schließlich mit dem Segen von Ralph „Sonny“ Barger ein Jahr mit den Angels durchs Land.

Was er 1966 darüber in Buchform zu Papier brachte, die „seltsam und furchtbare Sage“ der Hells Angels, sollte auf Jahre das Bild der Gruppe prägen. Ebenso präzise wie unvorteilhaft für die Rocker zeichnete der 2005 durch Suizid aus dem Leben geschiedene Autor das Bild eines von dumpfen Ritualen geprägten Männer-Bundes, der Prinzipien wie Respekt, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Freiheit geschmeidig mit dem Gebaren einer hochkriminellen Vereinigung verbinden konnte. Sein Lohn: Sonny Barger stempelte Thompson zum Paria. Einmal wurde der Schriftsteller von den Rockern windelweich geprügelt.
Verantwortlich für den „schlimmsten Tag des Rock’n’Roll“

Nur drei Jahre später erleben die Hells Angels eine Zäsur, die weit über das Genre der Rockmusik hinauswirken sollte. Bei einem Konzert der „Rolling Stones“, die die Gruppe als Sicherheitsdienst angeheuert hatte, kommt es im Dezember 1969 in Altamont bei San Francisco zur Katastrophe. Während die Stones gerade „Sympathy For The Devil“ spielen, wird Meredith Hunter direkt vor der Bühne von einem Angel erstochen. In Notwehr, sagt der Täter vor Gericht, weil der 18-jährige Afro-Amerikaner eine Pistole zog.

Die Szene wird mit Kameras dokumentiert, zu sehen in dem Film „Gimme Shelter“. Der „Rolling Stone“ schreibt später vom „schlimmsten Tag des Rock’n’Roll“. Was Sonny Barger selbstredend anders sieht. In einer Autobiographie schilderte der nicht mal 1,60 Meter große Mann, der heute nur noch durch einen künstlichen Kehlkopf sprechen kann, wie Keith Richards in Altamont damit gedroht hatte, die Gitarre auszustöpseln, wenn die Hells Angels nicht auf der Stelle zur Besinnung kämen. Barger drückte Richards darauf eine Pistole zwischen die Rippen und verfügte: „Spiel weiter!“.
Polizei sieht die „Hells Angels“ als gewieftes Verbrecher-Syndikat

Mit solchen beinahe romantisierenden Episoden können Sicherheitsbehörden weltweit schon seit langem nichts mehr anfangen. Für Polizei und Drogenfahndung sind die Höllenengel keine freiheitsliebenden Easy-Rider-Wiedergänger. Sondern ein gewieftes Verbrecher-Syndikat, das bei Kokain und Amphetaminen, Prostitution, Geldwäsche und anderen halbseidenen Gewerken der italienischen Mafia oder den asiatischen Triaden kaum nachsteht.

Der Konflikt mit dem Gesetz gehört zur DNA der Angels, die weltweit in 56 Länder mit über 450 Regionalgruppen, den so genannten „Chartern“, vertreten sind. Gewaltexzesse mit konkurrierenden Gruppen, allen voran den 1966 von Donald Chambers in Texas gegründeten „Bandidos“, bringen die Angels bis heute in Verruf.
Bandidos warnen: Erwarte keine Gnade

1984 werden in Milperra, Australien, sieben Biker getötet und 28 verletzt. Mitte der 90er Jahre befehden sich in Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland Mitglieder der verfeindeten Gruppen mit Maschinengewehren, Granaten und Bomben. Mindestens zwölf Menschen sterben. In Kanada – Stichwort Quebec Biker War – lassen bis Mitte der 2000er Jahre nach Angaben der Behörden fast 150 Rocker ihr Leben. Die in „Chapter“ organisierten Bandidos, hieß es damals, machten keine Gefangenen. Auf ihrem Badge, den nur erhält, wer einen Höllenengel schwer verletzt oder getötet hat, steht „Expect no mercy“. Erwarte keine Gnade.

Allein in Deutschland, wo 1973 in Hamburg-St. Pauli der erste Ableger der Hells Angels entstand, sind seit den 80er Jahren über ein Dutzend Klubs (Berlin, Hamburg, Köln, Düsseldorf, Bonn, Frankfurt, Flensburg, Pforzheim, Kiel, Bremen etc.) von den Innenministern in Bund und Ländern verboten worden. Nach dem Vereinsrecht. Der Nachweis, dass die Gruppe pauschal Ausdruck organisierter Kriminalität ist, ist hier bis heute nicht gerichtsfest gelungen.
Hells Angels und Bandidos klagen gegen Verbot

2010 schlossen Angels und Bandidos nach jahrelangen Massenschlägereien auf offener Straße, bei den regelmäßig Macheten, Baseballschläger, Messer und Pistolen zum Einsatz kamen, und nach Schüssen auf Klubheime und gezielten Morden an Rivalen einen Waffenstillstand. Zuvor hatte der Hells Angel Timur A. 2009 den Bandido „Eschli“ vor dessen Klubhaus in Duisburg erschossen. Es ging um eine Geliebte, die die Seiten gewechselt hatte. Timur A. wurde zu elf Jahren Haft verurteilt.

Derzeit liegen nicht nur die Angels mit dem deutschen Staat vor dem Bundesverfassungsgericht im Clinch. Sie wollen das seit einem Jahr geltende Verbot kippen, das ihnen das Tragen des Totenkopfes auf ihren Kutten untersagt. Die Bandidos haben ebenfalls geklagt. Bei ihnen geht es um einen Sombrero tragenden und bewaffneten Mexikaner. Darum nennen Angels die Konkurrenten abschätzig „Tacos“.
Wer den Klub wechselt, hat den Status eines Vogelfreien

Gehalten haben sich bis heute Rituale, die an Stammes-Verhalten erinnern. Wer Hells Angel werden will, muss sich mühsam hochdienen. „Hangarounds (Rumhänger) sind die zu Gehorsam verpflichtete Sklaven eines jeden Klubs. Funktionieren sie, werden die „Prospects“ (Anwärter), eine Art Laufbursche für die Älteren. Am Ende steht, so Einstimmigkeit herrscht, der Ritterschlag: die Aufnahme in den Kreis der „Full Member“. Vollmitgliedschaft. Darüber werden alle Hells Angels Klubs weltweit informiert.

Zu den ungeschriebenen Gesetzen gehört eine Art Omerta gegenüber dem Staat. Wer mit der Polizei kooperiert, und sei es als Opfer einer Straftat, wird suspendiert und muss die Klub-Insignien abgeben. Wer Geld klaut oder den Klub wechselt, fliegt ganz raus und ist fortan „out in bad standing“. Was in etwa „in Verschiss geraten“ bedeutet und dem Status eines Vogelfreien entspricht. Jeder Angel weltweit kann dann mit dem Betroffenen nach Belieben verfahren.

Theoretisch auch Sonny Barger. Der klapprig gewordene Anführer der Hells Angels hat aber inzwischen für sich eine andere Interpretation von Freiheit, Abenteuer und Rock’n’Roll gefunden. Er züchtet auf einer Ranch in Arizona Pferde.



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